Parkett rechts, Tür D - links neben mir Smalltalk auf Russisch, rechts "Wie krieg' ich bloß mein Handy aus?"
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Foto: Costin Radu |
Am vergangenen Mittwoch auf zu "Coppélia"durch den Zwingerpark. Am Zwingerteich entlang entschleunigten sich bereits meine Gedanken in Erwartung auf das Kommende.
Semperoper Ballett auf Facebook hatte bereits so manchen anregenden Clip eingestellt und meine Erinnerungen an den Tag der Offenen Tür tauchen vor meinem geistigen Auge auf. Damals waren die riesigen Teekannen noch im Rohbau in den Werkstätten zu sehen - es kann nicht hoch genug gelobt werden, was darin für eine Handwerkskunst drinsteckt.
Kaum bin ich in der Semperoper an diesem Abend umfängt mich auch schon eine ganz besondere Stimmung. Etwas Besonderes liegt in der Luft. Sollte ich doch etwas ausführlicher meine Sinne schärfen? Ein "Tuning In"? Ein lockeres neugieriges Wandeln durch die Gänge, Aufsaugen der Stimmung und Gesprächsfetzen, (eventuell) bekannte Gesichter treffen, das ist, was ich die kommenden Minuten mache. Komme mir vor wie ein Orchestermusiker, der sein Instrument stimmt, nur kann niemand "hören" wie ich mein "Aufmerksamkeitsinstrument" stimme.
Dieser Abend sollte ein Abend der Überraschungen werden. Anders als in der Premiere tanzten, wie dem Programmheft zu entnehmen war (übrigens immer ein Muss, dieses sich vorher zu besorgen (!)),
Anna Merkulova (Svanhilda) und
Jón Vallejo (Franz). Ein kurzer Blick ins Heft, und die Sache war klar: Franz und Swanhilda ein Paar, Franz verliebt sich in Coppélia, die Tochter von Dr. Coppélius (
Ralf Arndt). Dieser ist ein etwas schrulliger Erfinder, niemand in der Stadt weiß so genau, was er eigentlich macht. Swanhilda merkt selbstverständlich, dass Franz' Augen einer anderen zugeneigt sind. Franz hingegen scheint "blind" zu sein. Kommt uns das nicht irgendwie bekannt vor? Etwas Besonderes entsteht direkt vor unseren Augen, und wir nehmen es nicht wahr. Es kann die Liebe unseres Lebens sein, eine zukünftige Geschäftschance, oder einfach eine Idee, deren Zeit gekommen ist. Loslassen von Gedanken, die uns in bekannten Mustern gefangen halten wäre das Gebot der Stunde. Wie sollten wir anders die größeren Zusammenhänge erkennen? Hören wir in solchen Momenten guten Freunden zu? Oder braucht es andere Impulse?
Aus anderem Kontext bekannt scheinende Melodien ("Woher kenn' ich sie bloß?") von
Léo Delibes lassen mich langsam in das Geschehen eintauchen. Der allseits verbindende Faktor ist Dirigent Paul Connelly, der die Handlung auf der Bühne mit dem Publikum zu einem schlüssigen Ganzen verspinnt. Immer wieder wird er als wallender Kopf aus dem Orchestergraben zu erspähen sein, in Vertretung für das Orchester, das im Verborgenen bleibt. Swanhilda wird zum Dreh- und Angelpunkt des weiteren Geschehens auf der Bühne, beschleunigt durch ihre kindliche Neugier.
Anna Merkulova, spielt die Rolle der enttäuschten und doch unendlich neugierigen Swanhilda grandios und mit schelmischen Können - zeitweise fühle ich mich wie im Kabarett. Wer sie nochmals sehen möchte, am 23. Februar spielt sie erneut in Coppélia.
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Foto: Costin Radu |
Liebe entfesselt oft ungeahnte Kräfte und verdrängt Angst vor dem Unbekannten und so erkunden Svanhilda und ihre Freundinnen neugierig das Studierzimmer von Dr. Coppélius (nachdem sie den Schlüssel vor seinem Haus fanden). Svanhilda findet rasch heraus, was es mit Coppélia auf sich hat: es ist nur eine Puppe. Doch halt, kommt da nicht Dr. Coppélius zur Tür herein? Zu allem Überfluss hat sich auch Franz in das Innere des Studierzimmers aufgemacht - doch über das traditionelle "Fensterln". Verdammt, an leises Verschwinden nicht zu denken. Also rein in die Kleidung und Coppélia gespielt - Anna Merkulova überzeugt nicht nur durch Tanz, ausdrucksvoll mimt sie die lebendig werdende Coppélia während ihr Franz leblos auf der Bank liegt. Irgendwie alles recht unheimlich, und schwupps ist da der Gedanke: geht es uns nicht oft auch so? Um uns herum geschehen Dinge, die uns irgendwie betreffen und doch sind wir nicht sicher, dass wir sie wissen möchten. Wir weichen aus und lassen das Umheimliche hinter uns (nur dass es uns oft dann doch mit Verzögerung einholt). Wie ist es mit den Themen Social Media, Entwicklung von Mensch-Maschine, Biotech, und Ähnlichem? Schrecken wir da nicht erst zurück und versuchen uns da rauszuhalten? Ist das wirklich machbar? Swanhilda und ihre Freundinnen haben Dr. Coppélius' merkwürdiges Studierzimmer und seine Automaten-Menschen sowie die vielen Bücher und Requisiten gesehen. Werden sie das Wissen für sich behalten? Oder doch Freunden weitererzählen? In Zeiten wie diesen werden die Neugierigen Svanhildas dieser Welt mit sicherem Blick das Neue ergründen. Doch wird es die Liebe zu denjenigen, die sich nicht so sicher fühlen in den neuen Gefilden, bedürfen gemeinsam zu lernen, was es heißt die Zukunft zu meistern.
Svanhilda und Franz finden wieder zu einander, Franz erkennt, dass er einem Trugbild aufgesessen war und so wird im 3. Akt anständig und mit großem Getöse Hochzeit gefeiert. Alles gut so scheint es. Doch eine Sache habe ich noch vergessen zu erwähnen. Es ist schon auf dem Weg nach Hause durch den Zwinger. Hinter mir läuft eine der jungen Tänzerinnen von der
Palucca Hochschule für Tanz Dresden mit ihren Eltern. Sie zu ihrer Mutter, "Du Mutti, weißt Du die anderen haben an einer Stelle falsch getanzt. Das konnte ich nicht mitmachen. Da hab' ich einfach richtig weiter getanzt und dann sind die anderen doch wirklich mir gefolgt mit den Schritten." - wenn das mal nicht Courage ist! Hut ab (den ich nicht mehr besitze) vor soviel Mut auf der Bühne. Schmunzelnd gehe ich weiter und genieße den Abend.
Fast zum Schluss noch eine Kleinigkeit, die mir die ganze Zeit durch den Kopf ging: warum toste nach fast jedem Solo der Beifall durch die Ränge? Sollte ich etwas missverstanden haben? Klatscht man nicht am Ende des Aktes oder Konzertstücks? Weit gefehlt, bei Ballett lauten die ungeschriebenen Regeln anders. Faszinierend in diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass sich die Tänzer wie auch die Orchestermusiker nach diesen Unterbrechungen mit Leichtigkeit wieder ins Spiel zurückfanden - als ob nichts gewesen wäre.
Ganz zum Schluss noch die obligatorischen vier kurzen Fragen, auch
PresencingStatus genannt:
1. Was war gut? Gratulation an Anna Merkulova, die ihr Debüt bei Coppélia feierte und das Publikum in ihren Bann zog, und auch an Jón Vallejo (der einem Jiři Bubeníček durchaus ebenbürtig war); ein gradezu phantastisches Bühnenbild, das die Blickwinkel des Publikums jedes Mal auf's Neue herausforderte; die Bühnenillumination durch die Lichttechniker, die es vermochten immer wieder neue Stimmungen auf die Bühne zu zaubern; eine gelungene Integration der jungen Palucca Schülerinnen und Studentinnen; das zu beobachtete Vertrauen der Tänzer untereinander (insbesondere beim Auffangen des Partners aus der Luft) - wenn Chefs in Unternehmen auch solches Vertrauen in ihre Mitarbeiter haben!
2. Was war tricky? Nichts, wenn ich mich so recht entsinne, außer dass ich im Parkett der Einzige war, der Standing Ovations feierte und mächtig ins Schwitzen geriet (im Geiste muss ich wohl mitgetanzt haben, ansonsten kenne ich solche Schweißausbrüche nur vom Ultimate Frisbee oder bei Vorleseabenden); Ballett birgt tiefere Wahrheiten, die sich mir als Zuschauer erst nach und nach eröffnen (die alleinige Wahrnehmung von Tanz, Musik und Gestik und das Verstehen der Handlung alleine über diese Wahrnehmung ist eine echte Herausforderung, der man sich nicht oft im Alltagsleben stellen muss); wieder einmal die persönliche Komfortzone des Lernens und Verstehens verlassen - wofür ich dem Semperoper Ballett sehr dankbar bin!
3. Was habe ich gelernt? Stets naiv und ohne feste Erwartungen sich in Neues begeben; die Verbindung zwischen traditionellem Ballett und den allgegenwärtigen Hightech-Entwicklungen in der Welt sind enger als gedacht (Dr. Coppélius hätte auch
Ray Kurzweil heißen und Coppélia das Titelbild des aktuellen
TIME MAGAZINE sein können); Jung und Alt lernen am besten gemeinsam (wunderbar, wie die jungen Tanzschülerinnen der Palucca Hochschule für Tanz einbezogen wurden und bestimmt eine Menge von den Profis lernten); Ballett ist mehr als nur Tanz (bedingt durch die "untypische" Ausdrucksweise ganz andere Assoziationen beim Zuschauer auslöst).
4. Next Action? "
Junge Choreografen" in
#Semper2 (unter diesem Kürzel auch auf
Twitter zu finden) besuchen; mehr Ballett sehen und verstehen (!); weiterhin über Dinge schreiben, die scheinbar nicht zusammengehören - bei genauerem Hinsehen eröffnen sich stets neue und überraschende Denk- und Möglichkeitsräume; dringend wieder Märchen lesen.