Sollte Dresden doch nicht am Rande liegen dessen, was in der Welt gerade passiert? Oft wird heute noch vom "Tal der Ahnungslosen" gesprochen und die geografische Lage -fast- am östlichen Rand der Republik als Argument herangezogen.
Doch Diamenten müssen nicht unbedingt groß sein und jederman ins Auge stechen.
Vor rund 450 Jahren war Sachsen und somit auch der Sitz der sächsischen Kurfürsten der Ort, von dem aus die wirtschaftliche Entwicklung (hier wurde neben Silber eine Vielzahl von Erfindungen und Innovationen getätigt) Deutschlands maßgeblich geprägt wurde. Allein die Erfindungen, die aus Dresden kamen können sich sehen lassen - und das weltweit. Darunter ist die einäugige Spiegelreflexkamera, der Kaffeefilter, die Filterzigarette, und auch der Bierdeckel - Dinge, die jedem von uns bekannt sind und die wir überall in der Welt wiederfinden. Wer weiß schon, dass diese Dinge ursprünglich aus Sachsen kommen?
Dresden steht im Schatten von Berlin, das zudem in seiner Funktion als Bundeshauptstadt einen besonderen Attraktivitätsfaktor für Unternehmen, insbesondere der Technologie- und Kreativbranche hat. Aufgrund der Nähe zu Lobbyorganisationen und den politischen Entscheidern, hat sich vor Kurzem auch Google entschieden dort ein Researchcenter zu eröffnen. Sicherlich auch getrieben durch die kontroversen Erfahrungen mit Google Streetview, die während der Erfassung der ersten deutschen Städte aus der Bevölkerung zu erfahren waren.
Ein weiterer attraktiver Standort kaum zwei Stunden Fahrzeit von Dresden entfernt ist Prag. Dort ist schon seit jeher ein Zentrum der Kunst und Musik gewesen, das zudem technische Innovationsfreude insbesondere im Softwarebereich in den letzten Jahren zeigt. Entrepreneure wie z.B. Dave Ruzius [http://theworks.cz] haben dort inzwischen Aktivitäten aufgenommen.
Was hat der Diamant Dresden zu bieten in diesem Dreieck und welche Rolle kann es künftig für den wirtschaftliche Entwicklung insbesondere für den Raum zwischen Dresden - Berlin - Prag spielen?
Wie bereits erwähnt ist Dresden in der Vergangenheit Magnet für Erfindungsgeist und Innovationen gewesen - und das seit Jahrhunderten. Ein wenig scheint es im Reigen der großen Nachbarn unterzugehen und an den Rand der Wahrnehmung gedrängt zu werden.. Reiseführer speziell über Dresden in anderen Sprachen gibt es so gut wie nicht auf dem Markt - lediglich Erwähnung der Stadt mit einigen Highlights finden sich in jedem Reiseführer über Deutschland oder Sachsen. Insbesondere auf Französisch existiert kein spezieller Reiseführer über diese Stadt, die jeder, der einmal dort war, in sein Herz geschlossen hat.
Wie stets im Leben weiß man selten das zu schätzen was direkt vor einem liegt insbesondere, wenn man Teil des städtischen Umfeldes ist. Die besondere Attraktivität entdeckt man erst, wenn man sich aus dem "Zentrum" wegbewegt und Reisen in die Ferne unternimmt - bevorzugt in andere Städte (wie ich es oft zu tun pflege). In den letzen Jahren waren Boston (USA), Muscat (Oman), Jyväskylä (Finnland), Amsterdam (Niederlande), Belfast (Nordirland), Dublin/ Cork (Irland), Decin (Tschechien) darunter, insbesondere weil der von mir passioniert betriebene Sport Ultimate Frisbee mich stets zu Turnieren außerhalb Deutschlands trieb.
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Amplify Festival 2011 |
Diesmal verschlug es mich für sieben Tage auf die südliche Halbkugel, nach Sydney und Melbourne, zu zwei außergewöhnlichen Konferenzen der ganz anderen Art. Bedingt durch meine seit vielen Jahren gelebte Passion, Kunst, Wissenschaft, Wirtschaft kreativ zu verbinden und daraus Neues zu schaffen [
Link zu Artikel in Semper!] bieten mir die sich ständig weiterentwickelnden sozialen Netzwerke wie Twitter, Facebook, PI Community, LinkedIn, XING zunächst die Möglichkeit neue Welten zu entdecken. Dabei offenbart sich immer wieder auf's Neue, wie in anderen Regionen der Erde z.B. Technologie im öffentlichen Nahverkehr eingesetzt wird (1996 als ich in Barcelona zu einem Sprachkurs war fielen mir die mit Klimaanlagen ausgestatteten Busse auf , die zudem damals bereits mit semi-durchsichtiger Ganzfahrzeugfolie beklebt waren - zur damaligen Zeit gab es Beides in Dresden bei der DVB AG nicht). Das Unerwartete kommt oft, besonders dann wenn es nicht ewartet wird - dann ist es an der Zeit schnell zu entscheiden, denn das Möglichkeitsfenster bleibt oft nur wenige Momente oder Tage geöffnet.
In diesem Fall begann es Dienstag vor genau zwei Wochen als ich einen Anruf erhielt - mit der "Vorwahl" 061… Wie sich nach wenigen Momenten herausstellte war dies nicht Darmstadt sondern die Ländervorwahl für Australien. Das fünfzehnminütige Telefonat endete mit "You now got a free ticket to Amplify Festival 2011 which will start next Monday. You only have to figure out how to get here!" - Whow, what to say?
Diese Momente ergeben sich nicht alle Tage, doch wenn sie vor einem auftauchen möchte man darauf vorbereitet sein. Insbesondere wenn man sich in einer recht prekären Situation befindet (finanziell als auch jobtechnisch - denn gegenwärtig beziehe ich wie so manch anderer in Dresden Hartz IV). Die Frage, "Was mach' ich jetzt? Wie finanziere ich den Flug und die Übernachtungen? Lohnt es sich für eine Woche ins "Unbekannte" zu fahren? Was werden Eltern, Freunde und die Agentur für Arbeit sagen?"
Donnerstagfrüh war der Gabelflug nach Sydney und Melbourne im Netz gebucht, Freitagnacht (kurz vor der Abreise nach Australien) die ersten zwei Nächte in Sydney gebucht (Tip aus einem Reiseführer, den ich mir erst am Nachmittag noch schnell bei Hugendubel in der Altmarktgalerie gekauft hatte).
Was wäre gewesen, wenn die Chance nicht ergriffen worden wäre? Ich hätte eine Woche Dresden im Sommer erlebt, wäre zu "Dresden Gründerstadt" gegangen und alles wäre wie immer gewesen.
Doch es kam anders, ich wurde offiziell Twitterer und Blogger in Residence für die fünf Tage dauernde Innovationskonferenz
Amplify Festival 2011 (Update 2020: Twitter-Account ist zwischenzeitlich gelöscht worden), die unter dem Motto "Everything Connected" inmitten Sydneys Old City im ersten Wolkenkratzer Australiens: AMP Building, 33 Alfred Str.
Was am Montagmorgen mit einem ersten Pre-Session Handshake mit
John Hagel und
Annalie Kilian begann, sollte die aufregendste Woche meines Lebens werden und vielleicht auch die überraschendste (Diamanten)-"Fassung" für Dresden (da tauchen nun bestimmt Fragezeichen auf ;-)) Annalie Kilian, die Organisatorin & Katalysator der Konferenz, war mir auf Facebook und Twitter bereits seit geraumer Zeit gefolgt. Wir hatten diverse Chats geführt und Links getauscht als auch Kommentare gegenseitig auf den Facebookseiten hinterlassen - übrigens kam der Kontakt indirekt über eine gute Freundin in Melbourne,
Marigo Raftopoulos, die mich nach einem Workshop am MIT vor drei Jahren zu Twitter einlud. Worauf ich damals erwiederte, es war Herbst 2008, "Was soll ich denn damit?". Ihre Antwort, "Vertraue mir, es ist das Richtige für Dich!" Sie sollte nicht zu viel versprochen haben damals.
Ein Diamant ohne Fassung ist, da sind wir sicherlich alle einer Meinung, nicht wirklich sinnvoll verwendbar als Schmuckstück. Bekanntermaßen ist Dresden einer der "Hotspots" der europäischen Hightech-Szene (u.a. mit dem
Max-Planck-Institute for Cell Biology and Genetics, das höchste Anerkennung weltweit genießt und zwei Chipwerken, die Dresden als einen der relevanten Chipproduktionsstandorte in Europa etablieren). Neben wenigen großen Playern in der Szene, wie Infineon und GlobalFoundries (die ihre Stammsitze nicht in den Neuen Bundesländern haben) ist Sachsen Heimat vieler mittelgroßer und kleiner Unternehmen, die oft zu den "Hidden Champions" mit weltweit hervorragenden Ruf gezählt werden. Doch was fehlt ist die "Fassung", um die großen Diamanten mit den vielen kleinen der Region in einer Weise zu verbinden, dass diese wunderbare Stadt und ihre Bürger, seien es Opernsänger aus dem Ausland, Wissenschaftler, die sich zum Forschungsaufenthalt in der Stadt aufhalten oder Kollegen aus den USA oder von anderswo in der Welt, die bei GlobalFoundries oder Infineon arbeiten zu einander kommen und gemeinsam das schaffen, was nur durch Interdisziplinärität möglich wird.
Ein Netz von "Diamantenfassungen", um die bekannten und weniger bekannten Diamanten Dresden's zum Funkeln zu bringen - das war die Mission der vergangenen acht Tage in Down Under. Dresden als künftiger Highttech-Hub an der Schnittstelle zwischen
MIT Cambridge, Silicon Valley,
Amplify Festival,
gathering11 Presencing Institute,
Singularity University.... vielen mehr.
Wie sieht dann die Zukunft aus?
BRILLANT!