Sonntags zuvor waren an Semper 2 bei der Einführungsmatinee zu 'Lulu' von Regisseur Stefan Herheim und Cornelius Meister, der die musikalische Leitung inne hatte, einige erklärende Hintergründe zum Stück, der Musik und der Geschichte dargelegt worden. (Persönlicher Tip für den Opernneuling und auch den "alten Hasen" - Einführungsmatineen lohnen den Besuch stets, denn erstens erfährt man Infos zum Stück aus erster Hand und die Gelegenheit des persönlichen Gesprächs mit den Machern besteht, um eigene Fragen loszuwerden).
Foto: Matthias Creutziger |
- First, art and artists stimulate us to see more, hear more, and experience more of what is going on within us and around us.
- Second, art does and should disturb, provoke, shock, and inspire.
- Third, the artist can stimulate us to broaden our skills, our behavioral repertory, and our flexibility of response
- Fourth, the role of the arts and artists is to stimulate and legitimize our own aesthetic sense.
- Fifth, analysis of how the artist is trained and works can produce important insights into what is needed to perform and what it means to lead and manage.
"Verehrtes Publikum - Hereinspaziert!" - so beginnt mit den Worten des Tierbändigers der Prolog, und einer vielschichtigen, psychologisch komplexen Geschichte, deren Dreh- und Angelpunkt Lulu ist. Sie ist -wie sich erst während der kommenden vier (kurzweiligen) Stunden herausstellen sollte- eine Frau, die die Männer sich zum Spielball macht und selbst am Ende "gekickt" wird.
Foto: Matthias Creutziger |
Stefan Herheim lädt das Publikum zu einer aufregenden Reise ein, und sie hat es in sich. Seine Inszenierungen zeigen stets eine überbordende Vielfalt von Handlungsstränge und -ebenen, so wie es in unserem Leben auch passiert. Mehr als sich in einem Artikel darstellen lässt und auch der Besuch des Stückes in seiner zeitlichen Begrenztheit ermöglicht. Je länger das Geschehen vor dem geistigen Auge und den ergänzenden Informationen durch das Textbuch und das Internet Gestalt annimmt, desto eindringlicher werden die Verbindungsstränge von der Zirkusmanege in die uns umgebende Realität.
Die Sächsische Staatskapelle und Cornelius Meister als musikalischer Leiter setzten ein perfektes "Stück Arbeit" um, dieser Oper die richtige Intensität zu geben. Es war nicht so einfach, das Orchester sowie die Sänger auf Grundlage der (unüblichen) Zwölftontechnik zu dirigieren, wie Cornelius Meister bei der Einführungsmatinee betont hatte. Alles hat wunderbar geklappt.
Ein kaleidoskopisches Leben - voll von Erfahrungen, Emotionen, Personen, unerwarteten Aktionen, zu viel, um es auf einmal zu verarbeiten und gleichzeitig genau so, was das Leben jeden Tag für uns bietet. Oft benötigen wir Aufmerksamkeit (Mindfulness), um die dynamischen Zusammenhänge innerhalb der vor uns geschehenden Handlung zu erkennen, die einzeln scheinenden Ereignisse zusammenfügen. Das Leben scheint schrill, voller Überraschungen (so stirbt im 1. Akt Lulus Ehemann Medizinalrat Dr. Goll an einem Herzinfarkt als dieser Lulu und den Maler Walter Schwarz nach seinem eigenen Einbruch ins Atelier überrascht), und schon öffnen sich durch solche unmöglich geglaubten Ereignisse plötzlich "Türen" ganz neuer Möglichkeiten. Doch ist Lulu erst einmal dem Glauben, dass es immer weiter nach oben geht erlegen. Nicht nur sie auch die übrigens Protagonisten heischen dem Hype der Jungfrauaktien und des eigenen Erfolgs hinterher, höher, schneller, reicher - auch dass der Absturz umso heftiger erfolgt. Es erinnert schon ein wenig an die seit 2008 eklatant präsente Finanzkrise, die Wirtschaft und Gesellschaft noch immer stärker in ihren Fängen hat, als wir dies persönlich wahr haben möchten. Ganz ähnlich wie die zahlreichen Männer, die durch Lulus Hände gelaufen sind, und die nicht merkten, wie sie lediglich benutzt worden sind und den Blick für die Realität verloren. Zu sehr beruht unser Handeln auf kurzfristig und sichtbar getriggerten Mentalen Modelen, d.h. Mustern, wie wir das Leben um uns herum wahrnehmen, und die oft komplexen dynamischen Verbindungen "ausblenden".
Im Textheft heißt es an einer Stelle: "Die Welt als Zirkus". Man erwartet, zum Lachen gebracht zu werden (wie immer beim Zirkus). Es scheint aber nicht wirklich so zu sein, eher ein surreales Vexierbild des realen Lebens, das uns als Publikum auf der Bühne vorgehalten wird. Der Zirkus ist wie eine Maske, die man anzieht, genau wie bei Pierrot. Hinter der verstecken sich viele schmerzliche Tränen. Diese Idee kommt immer wieder in 'Lulu' vor. Die Clowns (Lulus verblichene Liebhaber) spielen eine Rolle, die man von ihnen nicht erwarten würde.
Abschließend in aller Kürze :
Was war gut? Eine komplexe und vielschichtige Operninszenierung, die an Fragen und Anknüpfungspunkten an die tatsächlich real vom Publikum erlebten Geschehnisse nichts zu wünschen übrig lässt; Gisela Stille, die die Vielschichtigkeit der Lulu in besonderer Weise spielerisch, singend und sprechend in eindrucksvoll verkörperte; diese Oper verspricht das gesellschaftliche Gespräch über die unausgesprochenen Themen in der Gesellschaft (Lulus finden sich an den unterschiedlichsten Ebenen und Ecken der Gesellschaft, nicht nur als sexhungrig, sondern auch machthungrig); das Produktionsteam, das einen wundervollen traumhaften Job getan hat, dieses Stück auf die Bühne zu zaubern;
Was war tricky? Der verarbeitete Stoff dieser vielschichtigen Oper, die nicht nur die oft ungewöhnlich klingende "Zwölftonmusik" nutzte, sondern auch die Komplexität gesellschaftlicher Umbruchzeiten in den 20er und 30er Jahren gekonnt darstellte (ein Besuch ist bei Weitem nicht ausreichend); blutrünstige und frivole Szene, die definitiv so manchen Besucher irritiert haben mögen (doch Oper ist oft mit Mord und Totschlag verbunden, nur dass wir es selten so deutlich vor Augen geführt bekommen, wie in dieser Inszenierung -
Was war zu lernen? Lulu weiß nicht, welche Rolle sie im Leben spielt, für sie sind alle Männer lediglich große Spielzeuge, die man wegwirft, wenn man sie nicht mehr braucht; Emotionen aushalten, auch wenn man wie im 2. Akt nicht sofort die komplette Handlung in allen Einzelheiten entschlüsselt (wie auch durch zahlreiche Gespräche mit Gästen in der Pause zu erfahren war), und sich in Ruhe und entspannter Aufmerksamkeit vor dem geistigen Auge die Ereignisse auf der Bühne Revue passieren lassen; sich stets fragen, "Was ist der Kontext gewesen, aus welchem der Komponist diese Oper geschrieben hat?"; neues Lernen entsteht wenn man Emotionen positiv nutzt (auch wenn es auf der Bühne frivol und blutrünstig vor sich geht); in bestehenden Gesellschaften spielen Masken bislang (noch immer) eine größere Rolle als die Authentizität und Verletzbarkeit der Personen; Hilfe muss erfragt und auch angenommen werden können (insbesondere in heutigen multivernetzten Gesellschaften und der Beschleunigung von Veränderungen im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umfeld ist das eine künftige notwendige Fähigkeit von Entscheidern, Managern, Künstlern und allgemein Bürgern) - ansonsten kann es zum Komplettabsturz kommen;
Next Action? Ein weiterer Besuch dieser aufrührenden Oper mit weiteren entstandenen Fragen, deren Beantwortung eine aufmerksame Beobachtung möglicherweise in erhellendes Licht getaucht werden kann; lassen wir uns überraschen; mehr zu Alban Berg erfahren (insbesondere den Zusammenhang zu Karl Amadeus Hartmann 'Simplicius Simplicissimus' erhellen, der im Herbst 2011 mit Valda Wilson in der Hauptrolle an der Semperoper zu erleben war).
Weitere Rezensionen im Web:
Boris Michael Gruhl, Dresdner Neueste Nachrichten
Heiko Schon, Kultura-Extra
Maria Romo, A little bit of opera
Dr. Jürgen Helfricht, Bildzeitung Dresden
Nicole Laube, Elbmargarita
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