Wednesday, May 20, 2015

Ein guter Ort - notwendige oder hinreichende Bedingung für gesellschaftlichen Dialog?

Am 28.03.2015 fand im Internationalen Congress Center Dresden die 1. Dresdner Bürgerkonferenz statt. Ebenfalls an diesem Ort hatte am 21.01.2015 das 1. Dialogforum Sachsen stattgefunden. Und doch waren die Veranstaltungen grundverschieden.

Einige Wochen später, gegen Ende März 2015, fand das inzwischen 2. Dialogforum Sachsen an einem neuen Ort, dem Albertinum, statt, zu dem wiederum rund 300 Bürger Sachsens eingeladen bzw. durch einen notariell begleiteten Auswahlprozess ihre Einladung per Telefonanruf erhielten.

Was einige Wochen zuvor seinen Anfang im Internationalen Congress Center Dresden genommen hatte, fand an diesem Abend im überdachten Innenhof des Albertinums seine Fortsetzung. Kurz nach der Neueröffnung des Albertinums im Oktober 2010 wurde dieser "neue" Raum erstmals vollständig für eine künstlerische Inszenierung genutzt. Das Semperoper Ballett führte dort die Choreographie von Jiri Bubenicek auf und das Publikum, das den TänzerInnen während vier Vorstellungen an zwei Tagen durch die Räumlichkeiten des Museums auf Schritt und Tritt folgte war fasziniert.

Diese Erinnerungen an die Tage im Oktober 2010 waren es, die mich beim Eintreten in den unübersehbar mit Dutzenden von weißen Tischen und noch mehr Stühlen und Menschen aus Dresden, Sachsen und dem Ausland (die in Sachsen wohnen, leben und arbeiten) gefüllt war nachdenklich werden lassen.

"Was wird der Abend bringen?" - unbestimmte Neugier überfiel mich, und nicht nur mich.

Graphic Recording of #ULab MOOC by @kelvy_bird


Kurz zuvor hatte ich mich bereits mit zwei Teilnehmern des MOOC "U.Lab: Transforming Business, Society and Self" aus Dresden getroffen, um das Dresden U.Lab Hub mit einem persönlichen Kennenlernen zu starten. Ein 1-minütiger persönlicher Vorstellungspitch, wie wir es inzwischen bei unseren regelmäßigen Treffen von "Dresden Business International Group" halten, brachte die Grundlage für einen intensiven Dialog, der uns über leckeren Kaffee (auch mit Sojamilch) fast den Start des #Dialogmiteinander im Nachbargebäude vergessen ließen.

Das Albertinum, ein (aus meiner persönlichen Sicht) wahrhaft "guter Raum", der als Katalysator zwischen Bürgerschaft und diversen Themen, ob Kunst, Technologie oder wie am heutigen Tage sozialen Herausforderungen, dienen kann. Möge es der Beginn vergleichbarer Veranstaltungen dieser Art dort gewesen sein. Die Energie, die in diesem ausladenden Raum innewohnt ist unvergleichlich (dies ist ein persönlicher Eindruck).

Nachdem wir als TeilnehmerInnen im Vorraum, neben der Skulpurenhalle, über die Teilnehmerliste verifiziert worden waren musste sich für eines der beiden Themenfelder "Asyl" und "Bürger, Gesellschaft, Politik" für den Abend entschieden werden. Ein Tischlos machte den "Anmeldeprozess" komplett und so konnte der Abend beginnen.

Es warteten einige Stunden mit hitzigen, interessanten und perspektivenöffnenden Gesprächen (noch kann man es nicht Dialog im Engeren bezeichnen, denn noch herrschte eine Darlegung der unterschiedlichen Positionen an den Tischen vor, ohne einen gemeinsamen Blick in die Zukunft zu eröffnen) - #Dialogmiteinander (der Dialog auf Twitter, der im Verlauf der inzwischen drei stattgefundenen Veranstaltungen merklich abgenommen hat).

Zwischenzeitlich (dieser Beitrag schlummerte einige Wochen) hat das 3. Dialogforum Sachsen (diesmal in Chemnitz im Staatlichen Museum für Archäologie Chemnitz (emac) stattgefunden. Eine wiederum neue Umgebung, neues Publikum, Weiterführung der bereits beim 1. Dialogforum Sachsen begonnen Gesprächsthemen.

Drei Mal ca. 300 Sachsen (Einheimisch und Zugewanderte aus aller Welt) - reicht das, das soziale Feld eines ganzen Bundeslandes zu verändern? Was macht man als Bürger, wenn man nicht ausgewählt worden ist oder wegen der Entfernung zum Veranstaltungsort keine Möglichkeit der Teilnahme hat? Ist es eine rein politisch getriggerte Veranstaltung oder liegt die Intention an der aktiven Einbindung des Bürgerwillens?

Fragen, die sich jeder selbst beantworten mag und auch mit ihrer bzw. seiner inneren Einstellung aktiv zu fördern kann.

Nachfolgend einige weitere Stimmen/Blogs zu den vergangenen Veranstaltungen des Dialogforum Sachsen:

Dialoggestalter (Kurzbericht von den Veranstaltern des Formats "Dialogforum Sachsen")
Sachsen Fernsehen (Bericht vom 3. Dialogforum Sachsen)
Katharina Weyandt (Teilnehmerin 3. Dialogforum Sachsen)
Jan Pötzscher (Teilnehmer 2. Dialogforum Sachsen)
Antje Osiander (Teilnehmerin 1. Dialogforum Sachsen)
MDR Sachsen (Bericht vom 1. Dialogforum Sachsen)

Hier der vollständige Abschussbericht zu den drei durchgeführten Veranstaltungen von #Dialogmiteinander (Dresden und Chemnitz) von Dialoggestalter

Zum Abschluss meine Gedanken mit ein paar Wochen Distanz im bewährten Presencing Status:
  • Good? - ein faszinierender Ort, heterogenes Publikum, Gesprächsformat
  • Tricky? - an den Tischen fehlte ein erfahrener Moderator/Facilitator, dominante Tischteilnehmer drängten leisere Teilnehmer aus dem Gespräch (wenn auch oft unbeabsichtigt), Online-Partizipation via "Dialog miteinander in Sachsen" komplizierter als zunächst angenommen
  • Learned? -Veränderungen innerhalb von "lebenden Systemen", wie es die Gesellschaft mit ihren zahlreichen Schichten, Gruppen, Bedürfnissen und Erfahrungen darstellen benötigen Zeit, Einfühlungsvermögen, Transparenz (über den Prozess und die Ziele) sowie eine gemeinsam teilbare Vision, in der sich alle Bevölkerungsgruppen in der einen oder anderen Weise wiederfinden
  • Action? - Gedanken niederschreiben und online stellen (was hiermit geschehen ist)

UPDATE 2018-11-21
Die 5. Ausgabe des MOOC "u.lab - Leading From the Emerging Future" läuft seit Mitte September (wie jedes Jahr) und endet Mitte Dezember 2018.

Zusätzlich existiert ein weiteres Projekt "Transforming Capitalism Lab", eine Kooperation zwischen dem Presencing Insittute und der Huffington Post. Ab 2019 wird dieses Projekt in "Societal Transformation Lab" überführt, das für Teams von 4-5 Personen offen ist.

UPDATE 2017-10-16
Seit 16. September findet bereits zum 4. Mal der MOOC "u.lab - Leading From the Emerging Future" statt. Einstieg ist jederzeit möglich.

Kurssprache ist Englisch. In Sachsen gibt es auch deutsch- bzw. englischsprachige Aktivitäten. Mehr unter: #ulabsaxony (auf Twitter und Facebook)

UPDATE 2017-05-10:
Seit dem 20. April 2017 läuft ein Prototyp-MOOC (Vorbereitung für den regulären MOOC "u.lab - Leading From the Emerging Future" im Herbst auf der neuen Webpräsenz.

Eine Teilnahme ist jederzeit möglich! Die Kurssprache ist Englisch.

Tuesday, May 19, 2015

Unverhofft kommt oft - oder was der Freischütz mit dem wahren Leben zu tun hat

Nachdem vor gut einem Monat die Einführungsmatinee zur Neuinszenierung von Carl Maria von Webers "Der Freischütz" an der Dresdner Semperoper anstand ging es in die von Peter Schneider am Pult geleitete Aufführung.

Quelle: Spielplan Semperper 
Es war nach langer Zeit die erste Oper bzw. Neuinszenierung, die nicht nur aus einem Impuls der Neugier nach der Einführungsmatinee am 14. April 2015 heraus gekauft worden war sondern auch hier im Blog eine ausgiebige Erwähnung findet.

Bereits die fast ausverkaufte Einführungsmatinee (ungewöhnlich) und der Hinweis von Regisseur Axel Köhler, dass es seit der ersten Aufführung Semperoper 1822 (die Premiere fand 1819 in Berlin statt) schon fast 1.500 (!) Aufführungen dieser romantischen Oper an der Semperoper gab, ließ aufhorchen.

Für all diejenigen, denen der Inhalt der Oper unbekannt ist, hier in aller Kürze und dem Spielplanheft Mai/Juni/Juli der Semperoper Dresden entnommen:

"Das verzweifelte Verlangen nach Erfolg zieht den Jägerburschen Max in die finstersten Abgründe des nächtlichen Waldes und der menschlichen Seele. Max, einst bester Schütze weit und breit, steckt in einer Pechsträhne. Ein einziger Schuss soll über seine Heirat mit Agathe entscheiden - eine zu wichtige Angelegenheit, um sie dem Zufall zu überlassen. Um Mitternacht in der Wolfsschlucht gießt max mit dem zwielichtigen Kaspar die verfluchten Freikugeln, die niemals fehlgehen."

Das ausverkaufte Haus wirkte ca. 15 Minuten vor Start der Vorstellung wie ein ungebändigter Bienenschwarm, die OrchestermusikerInnen im Graben probten die letzten Tonfolgen und die Plätze hatten sich weit in die Stehplatzreihen im 4. Rang gefüllt. Erst die Ouvertüre zu "Der Freischütz" brachte das "Soziale Feld" zur Ruhe.

Was dann über gut zweieinhalb Stunden folgte ließ nicht nur musikalisch, sängerisch und spielerisch überraschen. Sah doch das Bühnenbild zunächst vergleichbar der Installation "Die Königskinder" aus und gedanklich war man schon (fast) in diesem Bild verhaftet. Doch Axel Köhler hatte nicht zu viel versprochen. "Schlag Mitternacht" brach die "Wolfsschlucht" aus der Hausinstallation heraus und man fand sich unvermittelt im düsteren Dickicht des "wahren Lebens". Der Druck, dem Max im Werben und Finden seiner Angebeteten durch deren Vater ausgesetzt sah, ist auch in heutigen Real-Umgebungen, sprich der selbst erlebten Arbeitswelt, sehr oft zu finden.

"Wie wird damit (zu oft) umgegangen?"

Überstunden, Aufputschmittel, Arbeit am Wochenende, ..... und und und.

"Nutzt es wirklich etwas, das Glück mit diesen "Freikugeln" herauszufordern, um dann noch tiefer zu fallen?"

Ganz sicher nicht. Max hat das Glück, dass ein Mentor (der Weise Mann) ihn wieder in der Gegenwart ankommen lässt (wo doch alles schon verloren, die Angebete "tot" und die Zukunft nichts mehr wert schien).

Was ist von dieser "romantischen" Oper zu lernen, das man auch im heutigen Leben gebrauchen kann: konzentriere Dich auf Stärken, Tiefen entpuppen sich oft als Grundlage für künftige Höhen, entsage "Freikugeln" und sei dankbar für einen Mentor, der Dein authentisches "Ich" wahrnimmt und die Stärke hat, dies auch gegenüber anderen in Deinem Leben wichtigen Personen zu artikulieren.

Wer Lust auf mehr bekommen hat: heute am 19. Mai 2015, 19:00 Uhr heißt es wieder "Der Freischütz" in der Produktion von Axel Köhler an der Dresdner Semperoper.

Zum Abschluss mein persönlicher Presencing Status wie stets in aller Kürze:

  • Good - Integration von Gesang, Musik, Sprache, theatralischen Episoden (Kampf), Einspielung von "Überstimme"; Überraschungseffekte; komplexes wandlungsfähiges Bühnenbild, das die Stimmung der Entstehungszeit ausstrahlte; Licht- und Soundeffekte wie selten in einer Oper erlebt; Übertitel (trotz überwiegend gut verständlichen Gesangs)
  • Tricky - ein Hörplatz im 4. Rang, der den kompletten Überblick über die Szene zu einer fortwährenden Herausforderung werden ließ
  • Learned - Einführungsmatineen sind das "Salz in der Suppe" für den neugierigen Opernamateur (ab der neuen Spielzeit 2015/2016 heißt dieses Format "Premieren Kostprobe" und am 5. Oktober 2015, 18 Uhr ist die nächste Möglichkeit); SängerInnen und Chormitglieder besitzen sprachliche, komödiantisch und spielerische Fähigkeiten, die oft in dieser Weise in traditionellen Opern nicht zum Tragen kommen (die Vielfalt bereichert stets, denn sie spricht unterschiedliche Sinne beim Publikum an)
  • Action - die Blogreihe zu Oper- und Ballettbesuchen an der Semperoper Dresden fortführen wie ich sie im Oktober 2010 mit diesem Beitrag begann