Beim Hören von "The Great Gatsby" fällt den meisten von uns ein amerikanischer Literaturklassiker oder aber der
Kinofilm (Trailer) mit Leonardo di Caprio in der Hauptrolle des Jay Gatsby ein. F. Scott Fitzgerald jedoch lieferte mit seiner Romanvorlage auch die Grundlage für die moderne Oper "
The Great Gatsby", die MIT Professor
John Harbison bereits 1999 komponierte. Sie sollte erst in der letzten Spielzeit 2015/2016 an der Sächsischen Staatsoper Semperoper in Dresden unter der Regie von Keith Warner ihre europäische Erstaufführung erhalten.
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Szenerie während der Pause |
Über eineinhalb Jahre nach ihrer Premiere in Dresden fand sie sich am 29.05.2017 erneut auf dem Spielplan der Semperoper. Es war Dresden-Tag (ein von der damaligen Intendantin Ulrike Hessler initiertes Angebot vor allem an die Dresdner, "ihre" Semperoper zu attraktiven Preisen zu erleben). Das Haus gut gefüllt und das dritte Mal selbst dabei (mit neuer Sitzposition, die zwei vorangegangenen Besuche im linken Rang bzw. im Parkett) sollte ein fulminanter Parforceritt durch die "Welt der Reichen und Schönen" und die Komplexität der uns alle umgebenden realen Welt folgen, der jedoch mehr bieten sollte, als schlicht die Musik und die sängerische Qualität auf der Bühne und im Graben.
Die Geschichte ist "schnell" erzählt: Jay Gatsby, zu Reichtum gekommener New Yorker mit unklarer Lebensgeschichte, trifft nach fünf Jahren zufällig seine Jugendliebe Daisy wieder, die inzwischen "unglücklich" mit einem erfolgreichen Polospieler, Tom Buchanan, verheiratet ist. Doch mit Reichtum und auch im Allgemeinen ist die Vergangenheit nicht wieder lebendig zu machen. Zwischenmenschliche Dynamiken als ein sich ständig in Bewegung befindliches Spiegel- und Zerrbild der uns stets umgebenden Gesellschaft. Einen kurzen Einblick in das Geschehen gibt der
Trailer zur Oper auf der Website der Semperoper. Auch wenn die Literaturgrundlage von F. Scott Fitzgerald "
The Great Gatsby" (Wikipedia) bereits über 90 Jahre hinter sich hat, an Aktualität hat sie nichts verloren.
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Blick aus dem 3. Rang
rechts vor Beginn der Aufführung |
Was bereits vor der Aufführung fasziniert und gleichermaßen verstört sind die übergroßen Augen, die auf einem überdimensionalen Stahlgerüst inmitten der Bühne zu sehen sind. Ausdruck für Stahl als Verkörperung traditioneller Wirtschaft damals in den 20er Jahren, den "Roaring Twenties", gegenüber dem "schnellen Geld" (z.B. Spekulationen an der Börse oder Geschäfte mit während der Prohibitionszeit verbotenem Alkohol)? Die Augen als Verkörperung des "unbeteiligten Beobachters", der die gesamte Szenerie übersieht (unwillkürlich kommt einem der "
Overview Effect" in den Kopf). Kaum beginnt die Vorstellung zeigt die Bühnenmaschinerie auch schon was in ihr steckt und was man selten in dieser Umfänglichkeit zu sehen bekommt. Es werden alle Register gezogen, die Szenerie vom Teenachmittag im Grünen, hin zur Rast an der Tankstelle oder der Aufenthalt im Hotel inmitten der Metropole New York, alles geschieht in Minutenschnelle und reibungslos auf der Bühne (fast wie von Geisterhand, wie auch manchmal das Leben zu spielen scheint). Was mechanisch korrekt und gleichmäßig ineinander zu greifen scheint spielt sich in den menschlichen Dynamiken gänzlich anders ab. Emotionen, versteckte Sehnsüchte und Annahmen (mentale Modelle) der involvierten Protagonisten verdeutlichen auf offener Bühne einmal mehr, dass die Dynamiken der Gesellschaft im Kleinen wie im Großen weder schlicht noch unvorhersehbar sind, wenn man den Blick lediglich auf die Oberfläche hält.
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Final Curtain mit dem gesamten Ensemble |
Die besondere Qualität des Abends, neben den sängerischen und schauspielerischen Qualitäten des gesamten Teams, war die phänomenale Zusammenarbeit aller auf der Bühne als ein Team aus "einem Guss". Man konnte den Spaß der Sängerinnen und Sänger an dieser komplexen und umfassenden Produktion in jedem Moment spüren. Darüber hinaus waren einige der involvierten auch auf ihren Social Media Profilen bereits im Vorfeld der Proben aktiv und machten Laune auf mehr.
Was besonders die Zuschauer bei der dieser Produktoin herausfordert sind nicht nur die technischen Finessen und die Vielzahl von Akteuren auf der Bühne, von der Ballerina des Semperoper Balletts bis hin zum kompletten Staatsopernchor, und vor allem die Tatsache, dass es nicht den "richtigen" Platz zum gesamthaften Überblick über das Geschehen gibt (es empfiehlt sich ein mehrfacher Besuch, auch in den Rängen bis hin zum 4. Rang). Während eher traditionelle Opern in der Regel auf wenige Protagonisten fokussieren und eine schlichte Handlung und ebensolches Bühnenbild erwarten lassen, sind die Sinne bei "The Great Gatsby" über alle Maßen gefordert. Es ist keine Oper zum Entspannen und schlichten Genießen: sie fordert förmlich zur Neugier auf, auf die man sich komplett über die Dauer von knapp drei Stunden einlassen sollte!
In diesem Zusammenhang fällt Edgar H. Schein und sein Artikel "
The Role of Art and the Artist" ein, der einen erneut daran erinnert, dass vor allem darstellende Kunst in ihrer Komplexität in uns oft unerwartete Emotionen hochkommen lässt.
Abschließend ein Zitat von
Mary Parker Follett, einer in den 20er Jahren aktiven Sozialarbeiterin und Managementberaterin, von Peter Drucker als "Prophetin des Managements" bezeichnet, das passend zu dem auf der Bühne erlebbaren Fiasko von Jay Gatsby und der "aus den Fugen geratenden" Gesellschaft passt:
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Aus: Mary Parker Follett, "Prophet of Management - A Celebrating of Writings from the 1920s", S. 254 |
Wir alle spielen eine entscheidende Rolle in der Gesellschaft, in der wir leben und manchmal müssen wir auf unseren "Blinden Fleck" achten, der uns blind für die Entwicklungen um uns herum macht, so wie es Jay Gatsby widerfahren ist.
Zum Abschluss ein kurzer persönlicher PresencingStatus (Kurzreviewformat):
- Good - 3. Aufführung aus 3. Perspektive; viele neue Gesichter (auch Kurzentschlossene), die den Dresden-Tag nutzten; ein eingespieltes Team auf der Bühne rund um den dänischen Tenor Peter Lodahl, das mit sichtbarer Freude spielte; Musiktheater im wahrsten Sinne des Wortes (!)
- Tricky - um ehrlich zu sein: NICHTS
- Learned - Mehrfachbesuche einer Produktion lohnen stets (wie in der Vergangenheit bereits wiederholt erfahren); die Bühne gibt bei dieser Produktion ein umfängliches Bild von #DynamicComplexity in Wirtschaft und Gesellschaft wider
- Action - Wenn nicht anderweitig eingespannt stünde ein Gang zu einem 4. Besuch dieser Produktion am heutigen Donnerstag auf dem Programm
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