Im April 2020, zu Beginn der Pandemie, als es weder Impfstoffe, noch Genaueres über das Coronavirus oder Schnelltests gab, beschrieb Andreas Sentke in "Bloß raus hier!" auf ZEIT Online eine prägnante 7-Punkte-Strategie, um aus der Corona-Pandemie heraus zu kommen:
- Zahlen kennen - wer ist mit dem Virus infiziert?
- Modelle berechnen - wie wirken sich konkrete Maßnahmen auf Infektionszahlen aus?
- Kapazitäten ausbauen - Versorgungskapazität des Gesundheitssystems ausbauen
- Testen und Abstand halten - testen, nachverfolgen, isolieren und überall Abstand halten
- Umsichtig öffnen - und schließen - Richtlinien und Vorgaben für konkrete Zielvorgaben für die Umsetzung
- Ganzheitlich vorsorgen - die Coronapandemie in den größeren ökologischen Kontext einordnen und entsprechend handeln (Stichwort: Klimaziele von Paris 2015)
- Zukunft gestalten - die durch die Pandamie zutage getretenen Systemschwächen von Politik (Föderalismus), Gesellschaft (individuelle Freiheit) und Wirtschaft (Profitstreben) erkennen und gegensteuern
Ohne das Erscheinungsdatum des Artikels zu kennen könnte man meinen, der Artikel sei erst vor Kurzem veröffentlicht worden. Wenig hat sich in den genannten Punkten seit Anfang 2020 geändert und wir scheinen als (Welt-) Gesellschaft nach wie vor am Anfang zu stehen, diese Pandemie und ihre vielschichtigen Facetten zu verstehen und (aktiv) zu antizipieren. Dass wir wenig als Gesellschaft aus der Pandemie gelernt haben zu scheinen zeigt sich u.a., dass die Corona-Warn-App in Kürze eingestellt bzw. in den Ruhezustand versetzt wird, ohne dass das aus der Verwendung Gelernte in die Praxis umgesetzt wird. Es stellen sie also einige Fragen, die es zu beantworten und zu verallgemeinern sind, sollten wir wirklich als Gesellschaft ein Interesse haben, nicht bei der nächstbesten Krise wie das "Kaninchen vor der Schlange zu erstarren"!
Was macht es demnach für uns als Einzelne und Gesellschaft so schwierig, die relativ einfach umzusetzenden Schritte (basierend auf zu beobachtenden Tatsachen) umfassend in Stadt und Land sowie landesweit und auch weltweit umsetzen zu können, so dass wir gemeinsam aus dem "Pandemie-Dilemma" herauskommen und dies nicht nur bis zum nächsten (verschärften) Lockdown bzw. kommenden Herbst? Auch wenn die Corona-Pandemie zunächst vorbei zu sein scheint, könnten bereits die nächsten Pandemiekandidaten (z.B. Vogelgrippe) lauern. Sind wir dann vorbereitet? Können wir zeitnah reagieren und entsprechende Prozesse etablieren?
Als Teil eines größeren und komplexen Systems, bestehend aus Gesellschafts-, Wirtschafts-, Bildungs- und weiterer Sub-Systeme, fehlt uns (allen) zu oft die Zeit und die persönlich erlebte Erfahrung, die "schwachen Signale", die "verborgenen" Abhängigkeiten und die zeitlichen Verzögerungen hinter den für uns unmittelbar sichtbaren Ereignissen zu erschließen.
Eins ist klar, fast jede(r) von uns hat sich in der Kindheit schon mal an einem heißen Bügeleisen oder einer heißen Herdplatte die Finger verbrannt. Ursache und Wirkung lagen zeitlich unmittelbar beieinander. Kaum hatten wir die Finger auf Bügeleisen oder Herd fühlten wir auch schon den Schmerz. Warum wussten wir das nicht vorher, obwohl uns unsere Eltern bestimmt darüber belehrt hatten und so mancher Kinderreim in unseren Kinderköpfen präsent waren? Wir kannten einfach den Zusammenhang zwischen heißer Herdplatte und Schmerz (noch) nicht. Seit der Zeit dieser schmerzvollen Erfahrungen dürften wir daraus gelernt haben und werden mit Sicherheit unsere Finger nicht mehr einfach so auf heiße Bügeleisen, Herdplatten oder andere heißen Oberflächen gelegt haben.
Ein bisschen anders wird es uns später im Leben beim Duschen oder Händewaschen (ohne Mischbatterie) ergangen sein, wenn das Wasser zunächst zu kalt aus Brause oder Hahn kam. Dann wurden wir flugs aktiv und drehten das warme Wasser auf oder drehten den Mischhebel in Richtung "Warm". Doch was folgte war oft nicht das angenehm lauwarme, sondern ein Schwall heißes Wasser, das uns bewegte, ruckzuck wieder mehr kaltes Wasser fließen zu lassen. Und so mag es eine Weile gegangen sein, bis wir endlich die für uns angenehme Wassertemperatur fanden. Auch hier liegen Ursache und Wirkung zeitlich relativ eng beieinander. Doch anders als bei der heißen Herdplatte stellte sich die Temperaturveränderung mit Verzögerung (wenn auch nur mit wenigen Sekunden) auf das Aufdrehen von Mischhebel oder Wasserhahn ein.
Ganz ähnlich ist diese Verzögerung bei Klimaphänomenen zu erleben, wie bei der Zunahme von CO2 in der Atmosphäre und deren zeitlich verzögerte Auswirkungen auf das globale Klima. Diese Verzögerungen liegen nicht im Sekunden-, Tage- oder Wochenbereich. Die Auswirkungen eines signifikaten CO2-Anstiegs lassen sich erst nach Jahrzehnten in den unterschiedlichsten Ausprägungen feststellen, noch dazu sehr unterschiedlich, abhängig von der Region auf der Erde, die man betrachtet. Während im Frühjahr 2021 in Europa kälter und nasser, als die vergangenen Jahre war konnten in den nördlichen Regionen wie z.B. Skandinavien, Sibirien oder Alaska für die Jahreszeit viel zu warme Temperaturen festgestellt werden. Im Sommer 2022 dann war zunächst eine überdurchschnittlich starke und lange Dürreperiode in Südeuropa zu verzeichnen. Es dauerte nicht lange und auch in Mitteleuropa waren vergleichbare Phänomene mit längeren Hitzeperioden von über 35°C zu verzeichnen. Handelt es sich um singuläres Ereignis? Wohl kaum
Doch was hat all das im Kontext der Klimakrise Beschriebene mit Covid19 zu tun?
Eine Menge, denn auch hier liegen Ursache und Wirkungen zeitlich und örtlich nicht unmittelbar zusammen, sondern oft liegen Jahre, Jahrzehnte und tausende Kilometer dazwischen. Die übermittelten Zahlen wie Inzidenzen, Hospitalisierung oder Todesfälle, die in Zusammenhang mit der Pandemie stehen haben ihre Ursachen in der Vergangenheit und sind lediglich Ausdruck von Symptomen.
Es scheint als hätte die Menschheit noch eine Menge zu lernen, denn komplexe Systeme sind nicht das Thema, das bislang auf dem traditionellen Lehrplan steht. Zudem sollte damit bereits in Kindergarten oder Grundschule begonnen werden, um ein Verständnis für komplexe Zusammenhänge zu erhalten, die uns täglich auf Schritt und Tritt begleiten.
In diesem Sinne: Bleibt neugierig!