Montag 25. April 2011: "Tannhäuser" von Richard Wagner ebenfalls am gleichen Ort.
Was haben beide gemeinsam?
Beide Opern sind, wenn auch 200 Jahre in ihrer Entstehung von einander getrennt, aktueller denn je, und sie regen den offenen Geist zum Nachdenken an über die Situation in unserer Gesellschaft. Geht in dieser alles so von statten wie wir es wünschen? Allzu oft höre ich das Gegenteil und gleichzeitig die Worte "Ich kann doch eh nichts ändern!".
Wirklich?
Senneca und Tannhäuser, beides relevante und stückprägende Gestalten innerhalb des jeweiligen Plots verkörpern den am Rande der Gesellschaft stehenden Intellektuellen, der das Geschehen der herrschenden Klassen (sei es die an der Spitze oder die unten in der Gesellschaftspyramide) betrachtet. Solange solche Personen weit am Rand des tatsächlichen Geschehens aktiv sind nimmt man sie und das was sie sagen oder schreiben nicht ernst. Doch wehe wehe wehe wenn sie sich in die Mitte des Geschehens begeben!
Sind es wirklich Intellektuelle? Und welche Rolle spielen diese Charaktere (damals wie) heute?
Der amerikanische Soziologe C. Wright Mills ist der Überzeugung "unabhängige Intellektuelle seien angesichts ihrer Marginalität entweder mit einem verzweifelten Gefühl von Machtlosigkeit konfrontiert oder müssten sich nolens volens als Mitglieder einer relativ kleinen Insider-Gruppe Institutionen, Verbänden oder Regierungen anschließen, die selbstherrlich und skrupellos lebenswichtige Entscheidungen treffen." (aus Textbuch zu "L'incoronazione di Poppea, S. 40, Repräsentationen des Intellektuellen, Edward W. Said).
Die klare und unverbrauchte Wahrnehmung der Realität, die Intellektuellen eigen ist wird oft nicht in Umsetzung gebracht, wenn Sprache oder Habitus (gepaart mit den oben genannten Phänomen) dazu führt, dass sie von der Masse der Menschen nicht verstanden werden. Und sie werden "ausgestoßen" aus dem "inner circle" der Macht oder des Machens, ihr Wort verstummt. Bis man sich eines Tages wieder an sie erinnert - wie an Senneca und Tannhäuser. Warum sonst sind diese Aufführungen nach hunderten von Jahren noch immer so gut besucht und ausverkauft?
Intellektuelle und ihre Gedanken und Taten sind Ausdruck einer "provozierenden Kunstform", die Menschen emotional berührt. "Würden wir uns sonst über diese Dinge aufregen? Was hat das mit der Realität zu tun? Das ist doch viel zu abstrakt!" - all das hört kann man immer wieder hören.
"Es ist für mich keine Frage, dass der Intellektuelle auf dieselbe Seite wie die Schwachen und die Nichtrepräsentanten gehört. .... Im Grunde ist der Intellektuelle in dem von mir gemeinten Wortsinn weder Friedensstifter noch Vermittler, sondern jemand, dessen ganzes Wesen auf einer kritischen Geisteshaltung beruht, einer Geisteshaltung, die nicht gewillt ist, gängige Formeln oder Klischees, geschweige denn die glatten, stets so entgegenkommenden Formulierungen und Gesten der Mächtigen und Erfolgreichen zu akzeptieren. " (aus Textbuch zu "L'incoronazione di Poppea, S. 41, Repräsentationen des Intellektuellen, Edward W. Said)
Intellektuelle in der damaligen - wie heutigen - Gesellschaft sind die Katalysatoren, die das Neue, Unaussprechliche in die Welt zu tragen (teilweise durch Sprache, Schrift und auch Taten). Genannt werden müssen sie deshalb unbedingt so, und schon immer ist das unbeschriftete Produkt zum Anregen des eigenen Nachdenkens anregender als das klar definierte - auch wenn es oft nicht einfach zu sein scheint.
Aus meiner Sicht wieder einmal interessant welche Verbindungen sich offenbaren, wenn man sich Opern genauer anschaut, insbesondere die Muster, die dahinter stehen. "Connecting the dots" könnte man auch sagen.
Wer das Textbuch von "L'incoronazione di Poppea" nicht besitzen sollte zum Nachlesen, ein Anruf bei der Semperoper oder ein Besuch der Schinkelwache gegenüber dem Residenzschloss in Dresden kann helfen. Es lohnt sich - ebenso wie ein Besuch der Oper, die in wenigen Tagen wieder auf dem Spielplan steht.
PS.: Für den etwas holprigen Text möchte ich mich entschuldigen und bin dankbar für jedwede Frage oder auch gut meinenden Kommentar. Vielen Dank!
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