Copyright: Matthias Creutziger |
Gänzlich anders diesmal der Einstieg zu dieser Premiere, denn zuvor ein persönliches Interview zu zukunftsweisenden Technologien rund um den Stoff Graphen, an dessen Umsetzung auch in Dresden intensiv geforscht und gearbeitet wird. Wie sollte sich dies mit dem kommenden Abend, der diesmal bereits kurz nach 17 Uhr begann, verbinden? Man konnte gespannt sein - war doch die Semperoper in den vergangenen Monaten immer wieder für überraschende Momente gut.
Was konnte da besser passen als eine "Zauberoper", in der das Unmögliche zur Realität wird, und ein Labyrinth der persönlichen Erfahrungen und künftigen Möglichkeiten auf der Bühne zu erleben war? Doch beginnen wir mit der Einführung, dem obligatorischen "Tunen der Sinne" (wie es auch ein Spitzensportler stets tut bevor es auf die Bahn geht!) der eigenen Aufmerksamkeit für die Opernstunden vor uns. Sophie Becker, die Dramaturgin der Inszenierung führte souverän in das Stück ein und zeigte dem interessierten Publikum, das zahlreich in den Opernkeller gekommen war, den "roten Faden" der barocken Oper. So vorbereitet begann Punkt 18 Uhr vor vollem Haus die Premiere, die es - wie wir über den Verlauf der kommenden drei Stunden sehen und erleben sollten - in sich hatte.
Mit Faszination konnte dem Besetzungszettel entnommen werden, dass diese Produktion ausschließlich mit Mitgliedern aus dem eigenen Ensemble (sowohl sängerisch als auch tänzerisch) besetzt ist. Neben 'Street Scene' erneut eine Gelegenheit neue und bekannte Stimmen des Hauses kennenzulernen. Hervorzuheben sind hier besonders Barbara Senator, die bereits zwei Wochen zuvor bei der Eröffnung des Militärhistorischen Museums eine kurze Arie aus 'Alcina' darbot. Amanda Majeski ebenfalls neu an der Semperoper und seit dieser Spielzeit festes Ensemblemitglied glänzte mit einer spielerischen und sängerischen Glanzleistung, die bei vergleichbaren Altersstufen selten anzutreffen ist.
Doch sei die Story kurz erzählt:
Alcina (Amanda Majeski), einer Zauberin auf einer einsamen Insel liegen die Männer scharenweise zu Füßen, doch sobald sie ihrer überdrüssig wird verwandelt sie diese in tierische Zwitterwesen. Rugiero (Barbara Senator, in einer Hosenrolle) hat es ihr besonders angetan, ihre ganze Liebe fokussiert sich auf ihn. Doch Rugieros Ehefrau Bradamante (Christa Mayer) will ihn aus deren "Liebesklauen" in der Verkleidung ihres Bruders Ricciardo entreißen. Dabei begleitet sie Melisso (Markus Butter). Kaum treffen beide auf der Insel ein treffen sie auf Alcinas Schwester Morgana (Nadja Mchantaf) und ihren Freund Oronte (Simon Esper). Hin und hergerissen von Gefühlen versucht Bradamente Rugiero wieder für sich zu gewinnen. Am Ende kann sich Rugiero (anders als in Händels Original) nicht zwischen leidenschaftlicher Liebe zu Alcina und solider Familienvaterliebe entscheiden und entsagt dem Leben.
Mit dem doch frischen Auge eines "Nichtkenners" der Barockoper und Händel im Speziellen komme ich mir vor wie das englische Publikum 1735 zur Uraufführung - und lasse das Geschehen auf mich wirken. Was in den technischen Details zu Barockmusik und den stimmlichen Besonderheiten noch nicht in der "Kenntnisschublade" versuche ich im größeren Kontext und der Stimmung zu erfassen.
Das macht nachdenklich!
Wie schon bei 'L'incoronazione di Poppea' muss sich das auf moderne Töne eingerichtete Ohr mächtig an die Barockklänge gewöhnen, wenn es sich nicht bereits um einen passionierten Barockoperfan handelt. Die Sächsische Staatskapelle Dresden mit Rainer Mühlbach am Pult heute halb-erhaben hochgefahren aus dem Graben auf Augenhöhe mit Publikum bietet einen Hybrid zwischen reiner Barockmusik mit klassischen Instrumenten aus dieser Zeit und zeitgenössischen Instrumenten. Es ist der reine Luxus aus dem Parkett Orchester, Dirigent, Sänger als auch Publikum mit einem Blick wahrzunehmen - die Aufführung bekommt eine gänzlich andere Qualität. Alles scheint miteinander verwoben zu sein, und die Gedanken schweifen zum Spiel auf der Bühne und zurück in das eigene Erleben.
Wie mag es wohl den rund 1.300 anderen Gästen der Premiere ergangen sein? Welche Emotionen kochten hoch? Welche Fragen stellten sich?
Doch alles in Kürze:
- Good - eine erfrischende neue Inszenierung, die viel Raum für persönliche Interpretation und Reflexion bot; ein phantastisches Ensemble, das in Zukunft noch mehr von sich Reden machen wird (insbesondere Barbara Senator und Amanda Majeski); Szenenapplaus und Bravo-Rufe aus dem Publikum; drei (3) Stunden, die wie im Fluge vergingen (hätte es nicht ein wenig mehr sein können?),
- Tricky - sich einlassen auf Neues (Doch ist es nicht der Moment, wo wir aus einer Oper das Meiste für uns persönlich mitnehmen?),
- Learned - Georg Friedrich Händel, der immer wieder die Oper umgeschrieben und angepasst hat wäre sicherlich sehr angetan gewesen ob des Zuschauerzuspruchs, und auch der doch teilweise kontroversen Sichtweisen (schon während der Vorstellung geführter Gespräche); manche Besucher entspannen sich bei Opernbesuchen und andere wiederum sehen diese Gelegenheit als besondere Lerngelegenheit (also geht es wie im Stück, es kein "entweder oder" sondern ein "mit"), den schmalen Grat es beiden recht zu machen ist immer wieder die Herausforderung; auch Opernkomponisten wie Händel sind Entrepreneure im wahrsten Sinne des Wortes (wie es heute oft nur noch mit Startups in der Businesswelt in Verbindung gebracht wird),
- Action - neugierig machen auf mehr, dass sich noch mehr Neugierige auf den Weg zu 'Alcina' finden. - E S L O H N T S I C H (in diesem Jahr folgen noch zwei Aufführungen im November, bevor es dann in 2012 weitere gibt; Details).
... die enttäuschte Alcina
(verlassen von Männern und
Zauberkraft)
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Weitere bereits erschienene Rezensionen:
- NMZ (Rezension)
- Musik in Dresden (Rezension)
- BR Online (Rezension)
- Deutschlandfunk (Rezension)
- Deutschlandradio (Rezension)
- Mitteldeutsche Zeitung (Rezension)
- DRESDNER Kulturmagazin (Rezension, auch zu aktueller 'Lohengrin'-Aufführung mit Stuart Skelton
- .... wer kennt noch welche?
2 comments:
Händel ist zeitlos
Händel ist glamourös
Händel ist mächtig
Händel ist sexy....
Die Stimme aus dem Off, die schon zur Einführungsmatinee gekommen war, hatte da auch schon eine ganz wunderbare Karte für den 10. November, sonst wäre sie an diesem Abend ein paar Meter weiter aufgetaucht ...
Also: Die ersten Probenfotos stimmten leicht skeptisch, was die Inszenierung angeht. Völlig unbegründet natürlich. Wie sich die Wände dann ringsum schließen, bis sie ganz verschwinden und nur noch das Gerassel in der Dunkelheit steht, ist schon eindringlich.
Ein Glücksgriff auch der entschlossene Eingriff, das Finale wegzuwerfen und mit dem Selbstmord des Ruggiero die Oper radikal umzudeuten. Aus dem sonst schon etwas plumpen Plot wurde so etwas, das einen wirklich traf.
Die Debatten darüber, wie weit die Musizierweise dem Original aus der Barockzeit gerecht wurde, scheinen etwas am Ziel vorbeizugehen, weil sie den ganz bewußt gesetzten Kontrast zwischen barocken und modernen Instrumenten außen vor lassen. Der war sehr eindrucksvoll; spätestens, als „Credete al mio dolore“ nur von der Gambe und den beiden Lauten begleitet wurde (da ist etwas wirklich großartiges gelungen), und dann auch wieder am Schluß, als vor dem Blackout nur noch die Lauten spielten.
Was den Gesang betrifft: Zu Amanda Majeski wurde auf der Facebook-Seite ja schon der Kommentar „der schiere Wahnsinn“ hinterlassen, dem kaum noch etwas hinzuzufügen ist. Für sie gab es dann auch die popkulturell anmutende Verstärkung des Applauses, wie auch für Nadja Mchantaf. Die einschlägigen Leute haben wohl durchweg so eine Gabe, sich quasi unsichtbar in die Vorstellung zu begeben. Naja, ich wohl auch ...
Unterm Strich war es mal wieder eindringlich genug, um es als passend erscheinen zu lassen, danach zum Fernsehturm rauszufahren. Primär passend genug, um es sich nicht vom elendigen „der Zug fährt dann um 5.10 Uhr“ verleiden zu lassen.
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