Tuesday, November 1, 2011

'Alcina' zum Verlieben Verführerisch

Copyright: Matthias Creutziger
Am vergangenen Samstag stand sie auf dem Programm der Semperoper (hier ganz modern, im Sinne Händels, der Verweis zur Facebook Gruppe) , die 'Alcina' von Friedrich Georg Händels. Eine weitere Barockoper im modern angehauchten Gewand, wie der interessierte Operngänger sich schon bereits eine Woche vorher bei der Einführungsmatinee vergewissern konnte.

Gänzlich anders diesmal der Einstieg zu dieser Premiere, denn zuvor ein persönliches Interview zu zukunftsweisenden Technologien rund um den Stoff Graphen, an dessen Umsetzung auch in Dresden intensiv geforscht und gearbeitet wird. Wie sollte sich dies mit dem kommenden Abend, der diesmal bereits kurz nach 17 Uhr begann, verbinden? Man konnte gespannt sein - war doch die Semperoper in den vergangenen Monaten immer wieder für überraschende Momente gut.

Was konnte da besser passen als eine "Zauberoper", in der das Unmögliche zur Realität wird, und ein Labyrinth der persönlichen Erfahrungen und künftigen Möglichkeiten auf der Bühne zu erleben war? Doch beginnen wir mit der Einführung, dem obligatorischen "Tunen der Sinne" (wie es auch ein Spitzensportler stets tut bevor es auf die Bahn geht!) der eigenen Aufmerksamkeit für die Opernstunden vor uns. Sophie Becker, die Dramaturgin der Inszenierung führte souverän in das Stück ein und zeigte dem interessierten Publikum, das zahlreich in den Opernkeller gekommen war, den "roten Faden" der barocken Oper. So vorbereitet begann Punkt 18 Uhr vor vollem Haus die Premiere, die es - wie wir über den Verlauf der kommenden drei Stunden sehen und erleben sollten - in sich hatte.

Mit Faszination konnte dem Besetzungszettel entnommen werden, dass diese Produktion ausschließlich mit Mitgliedern aus dem eigenen Ensemble (sowohl sängerisch als auch tänzerisch) besetzt ist. Neben 'Street Scene' erneut eine Gelegenheit neue und bekannte Stimmen des Hauses kennenzulernen. Hervorzuheben sind hier besonders Barbara Senator, die bereits zwei Wochen zuvor bei der Eröffnung des Militärhistorischen Museums eine kurze Arie aus 'Alcina' darbot. Amanda Majeski ebenfalls neu an der Semperoper und seit dieser Spielzeit festes Ensemblemitglied glänzte mit einer spielerischen und sängerischen Glanzleistung, die bei vergleichbaren Altersstufen selten anzutreffen ist.

Doch sei die Story kurz erzählt:

Alcina (Amanda Majeski), einer Zauberin auf einer einsamen Insel liegen die Männer scharenweise zu Füßen, doch sobald sie ihrer überdrüssig wird verwandelt sie diese in tierische Zwitterwesen. Rugiero (Barbara Senator, in einer Hosenrolle) hat es ihr besonders angetan, ihre ganze Liebe fokussiert sich auf ihn. Doch Rugieros Ehefrau Bradamante (Christa Mayer) will ihn aus deren "Liebesklauen" in der Verkleidung ihres Bruders Ricciardo entreißen. Dabei begleitet sie Melisso (Markus Butter). Kaum treffen beide auf der Insel ein treffen sie auf Alcinas Schwester Morgana (Nadja Mchantaf) und ihren Freund Oronte (Simon Esper). Hin und hergerissen von Gefühlen versucht Bradamente Rugiero wieder für sich zu gewinnen. Am Ende kann sich Rugiero (anders als in Händels Original) nicht zwischen leidenschaftlicher Liebe zu Alcina und solider Familienvaterliebe entscheiden und entsagt dem Leben.

Mit dem doch frischen Auge eines "Nichtkenners" der Barockoper und Händel im Speziellen komme ich mir vor wie das englische Publikum 1735 zur Uraufführung - und lasse das Geschehen auf mich wirken. Was in den technischen Details zu Barockmusik und den stimmlichen Besonderheiten noch nicht in der "Kenntnisschublade" versuche ich im größeren Kontext und der Stimmung zu erfassen.

Man merkt Jan Philipp Gloger ein wenig an, dass er vom Schauspiel kommt, und so kommt eine neue Sicht ins Spiel. Statt barockem Pomp, ist Schlichtheit und Eleganz angesagt, die durch die wieder hervorragende Lichtführung von Fabio Antoci unterstrichen wird. Man muss sich Gedanken machen, was mit einzelnen Ausdrucksformen der Handlung, des Bühnenbilds und auch der Kostüme verbunden sein mochte. Welche Emotionen sollen sich beim Publikum einstellen? Alcina kommt zunächst als "männermordendes Weib" in Erscheinung, mit hochtoupiertem Haar und strahlender Erscheinung - ein wenig unerreichbar scheinend. Und doch oder gerade deshalb liegen ihr die Männer zu Füßen, sie bietet die Utopie, die die eigene Frau nicht zu bieten hat (so scheint es). "The grass looks always greener on the other side of the fence" - Bradamante (hervorragend gespielt und gesungen von Christa Mayer) sieht die Situation anders als Rugiero, der mitten im "System Alcina" eingebunden ist als Außenstehende, was mit den Männern geschieht, die Alcina "zur Seite" legt (und auch Rugiero blühen wird). Hier kommt die erfrischende, ständig zwischen spontan wechselnden Liebesbezeugungen hin- und herspringende Morgana ins Spiel, die in Bradamante einen neuen Liebhaber sieht. Und so kommt Bewegung in das Spiel der Gefühle, die einen oft auch persönlich beschäftigen. Es muss nicht nur Liebe sein, es kann auch ganz allgemein um Leidenschaften gehen, die man im selbst gelebten System nicht in der gewünschten Form umsetzen kann. Oft gibt es dann ein ENTWEDER vs. ODER, Schwarz oder Weiß. Doch was oft vergessen wird, dazwischen gibt es einen Blumenstrauß an Farben und Möglichkeiten, die so flexibel erkundet werden können, wie sich das Labyrinth auf der Bühne veränderte. An jeder Ecke des Lebens, auch in dem von Rugiero und Bradamante, gibt es die kleinen Ereignisse und Überraschungen, die es wert sind, dass man das eine nicht gänzlich mit dem anderen tauscht. Am Ende geht es so aus wie in dieser Variante von 'Alcina' und alle drei haben verloren. Nur die anderen gewinnen, die eigentlich gar nicht im Fokus der Hilfe standen!

Das macht nachdenklich!

Wie schon bei 'L'incoronazione di Poppea' muss sich das auf moderne Töne eingerichtete Ohr mächtig an die Barockklänge gewöhnen, wenn es sich nicht bereits um einen passionierten Barockoperfan handelt. Die Sächsische Staatskapelle Dresden mit Rainer Mühlbach am Pult heute halb-erhaben hochgefahren aus dem Graben auf Augenhöhe mit Publikum bietet einen Hybrid zwischen reiner Barockmusik mit klassischen Instrumenten aus dieser Zeit und zeitgenössischen Instrumenten. Es ist der reine Luxus aus dem Parkett Orchester, Dirigent, Sänger als auch Publikum mit einem Blick wahrzunehmen - die Aufführung bekommt eine gänzlich andere Qualität. Alles scheint miteinander verwoben zu sein, und die Gedanken schweifen zum Spiel auf der Bühne und zurück in das eigene Erleben.

Wie mag es wohl den rund 1.300 anderen Gästen der Premiere ergangen sein? Welche Emotionen kochten hoch? Welche Fragen stellten sich?

Doch alles in Kürze:

  • Good - eine erfrischende neue Inszenierung, die viel Raum für persönliche Interpretation und Reflexion bot; ein phantastisches Ensemble, das in Zukunft noch mehr von sich Reden machen wird (insbesondere Barbara Senator und Amanda Majeski); Szenenapplaus und Bravo-Rufe aus dem Publikum; drei (3) Stunden, die wie im Fluge vergingen (hätte es nicht ein wenig mehr sein können?),
  • Tricky - sich einlassen auf Neues (Doch ist es nicht der Moment, wo wir aus einer Oper das Meiste für uns persönlich mitnehmen?),
  • Learned - Georg Friedrich Händel, der immer wieder die Oper umgeschrieben und angepasst hat wäre sicherlich sehr angetan gewesen ob des Zuschauerzuspruchs, und auch der doch teilweise kontroversen Sichtweisen (schon während der Vorstellung geführter Gespräche); manche Besucher entspannen sich bei Opernbesuchen und andere wiederum sehen diese Gelegenheit als besondere Lerngelegenheit (also geht es wie im Stück, es kein "entweder oder" sondern ein "mit"), den schmalen Grat es beiden recht zu machen ist immer wieder die Herausforderung; auch Opernkomponisten wie Händel sind Entrepreneure im wahrsten Sinne des Wortes (wie es heute oft nur noch mit Startups in der Businesswelt in Verbindung gebracht wird),
  • Action - neugierig machen auf mehr, dass sich noch mehr Neugierige auf den Weg zu 'Alcina' finden. - E S   L O H N T   S I C H (in diesem Jahr folgen noch zwei Aufführungen im November, bevor es dann in 2012 weitere gibt; Details).
... die enttäuschte Alcina 
(verlassen von Männern und 
Zauberkraft)
Copyright: Matthias Creutziger

Weitere bereits erschienene Rezensionen:





2 comments:

Anonymous said...

Händel ist zeitlos
Händel ist glamourös
Händel ist mächtig
Händel ist sexy....

Anonymous said...

Die Stimme aus dem Off, die schon zur Einführungsmatinee gekommen war, hatte da auch schon eine ganz wunderbare Karte für den 10. November, sonst wäre sie an diesem Abend ein paar Meter weiter aufgetaucht ...

Also: Die ersten Probenfotos stimmten leicht skeptisch, was die Inszenierung angeht. Völlig unbegründet natürlich. Wie sich die Wände dann ringsum schließen, bis sie ganz verschwinden und nur noch das Gerassel in der Dunkelheit steht, ist schon eindringlich.

Ein Glücksgriff auch der entschlossene Eingriff, das Finale wegzuwerfen und mit dem Selbstmord des Ruggiero die Oper radikal umzudeuten. Aus dem sonst schon etwas plumpen Plot wurde so etwas, das einen wirklich traf.

Die Debatten darüber, wie weit die Musizierweise dem Original aus der Barockzeit gerecht wurde, scheinen etwas am Ziel vorbeizugehen, weil sie den ganz bewußt gesetzten Kontrast zwischen barocken und modernen Instrumenten außen vor lassen. Der war sehr eindrucksvoll; spätestens, als „Credete al mio dolore“ nur von der Gambe und den beiden Lauten begleitet wurde (da ist etwas wirklich großartiges gelungen), und dann auch wieder am Schluß, als vor dem Blackout nur noch die Lauten spielten.

Was den Gesang betrifft: Zu Amanda Majeski wurde auf der Facebook-Seite ja schon der Kommentar „der schiere Wahnsinn“ hinterlassen, dem kaum noch etwas hinzuzufügen ist. Für sie gab es dann auch die popkulturell anmutende Verstärkung des Applauses, wie auch für Nadja Mchantaf. Die einschlägigen Leute haben wohl durchweg so eine Gabe, sich quasi unsichtbar in die Vorstellung zu begeben. Naja, ich wohl auch ...

Unterm Strich war es mal wieder eindringlich genug, um es als passend erscheinen zu lassen, danach zum Fernsehturm rauszufahren. Primär passend genug, um es sich nicht vom elendigen „der Zug fährt dann um 5.10 Uhr“ verleiden zu lassen.