Untertitel: Tage in Clichy werden zu Tage der Experimente ;-)
Als der Tag heute morgen (bzw. jetzt ist es bereits gestern) um 6 Uhr völlig unverhofft und überraschend begann, ich wurde einfach wach, lag schon irgendwas in der Luft. Der Tag ging dann Schlag auf Schlag vorbei und kaum dass ich mich versah, war es auch schon 17 Uhr - nur noch zwei Stunden bis Mozarts "Entführung aus dem Serail".
Vor einigen Tagen war ich auf der Website der Semperoper darauf gestoßen. Insbesondere die Tatsache, dass diesmal eine britische Dirigentin am Pult stehen sollte hatte mich neugierig gemacht. "Wie wohl eine Frau das Ganze Geschehen in Orchestergraben und Bühne managed? Was wird anders sein?" waren die Fragen, die mir durch den Kopf gingen.
... und so ging ich nach meinem Termin kurz nach 17 Uhr nicht über Zuhause sondern direkt auf Semperoper. Die frühlingshaften Temperaturen machten es umso angenehmer auf den Stufen zu Schillers Füßen Platz zu nehmen und über die vergangenen zwei Tage zu reflektieren. Irgendwie hatte ich viel mit einem Dirigenten gemeinsam gehabt, was die zahlreichen überraschenden Meetings anging, nur dass es keine breite Öffentlich sehen konnte. Lediglich der kleine Personenkreis in dessen Mitte ich mich befand, konnte es wahrnehmen (manchmal auch nicht so subtil waren die Interventionen). Diesmal war ich doch tatsächlich der Erste in der Schlange mit besten Aussichten auf Restkarten an der Abendkasse.
Stehplatz 37, 4. Rang - das sollte spannend werden.
Doch was sollte ich mit meinem Rechner anfangen und mit der Kamera, zu der ich wie die Jungfrau zum Kind gekommen war? Abgeben an der Garderobe oder noch mal kurz nach Hause flitzen, Abendessen und pünktlich zu Beginn der Vorstellung kommen (günstigerweise wohne ich lediglich 5 Minuten entfernt). Blitzentscheidung: Abendessen und Rechner und Kamera nach Hause schaffen.
Dort traf ich die komplette WG. In kurzen Worten schilderte ich die Geschehnisse des Tages, die mich u.a. leihweise in den Besitz einer Kamera für einen Videomitschnitt am kommenden Montag brachten (hat ebenfalls mit Oper zu tun). Und schon geriet ich in Zeitbedrängnis, noch eine Viertelstunde bis Vorstellungsbeginn - da musste ich mich sputen.
Etwas geschwitzt wieder im "großen Wohnzimmer" zurück. Noch ein Telefonat auf den Stufen nach oben (warum macht es mir eigentlich so viel Spaß stets Dinge parallel zu machen? Ehrlich gesagt weiß ich es nicht.) geführt und schon ertönt der Gong.
Heute ein etwas kleineres Orchester und ein schlichtes Bühnenbild. Doch so schlicht war es gar nicht - rötlicher Sand lichttechnisch wunderbar in Szene gesetzt ließ meine Gedanken direkt in den Süden und zum Urlaub wandern. Sollte ich mich etwa erneut in einem "Cultural Island" befinden? Die Protagonisten auf der Bühne sind mir gänzlich unbekannt - nun komme ich mir wirklich vor, wie ein Opern-Newbie. Ich finde meinen Platz im linken Bereich des 4. Rang (auf der Treppe - hart aber (blick-)günstig). Mozart ist nach den letzten Erfahrungen von "3 Farben Weiß" und "Junge Choreographen" doch um Tonlagen ruhiger - ganz ungewohnt in diesen schnelllebigen Zeiten. Wie sich später herausstellen sollte genau das Richtige zum Entschleunigen.
PAUSE
Erst einmal ankommen, die Handlung kurz im Programmheft überfliegen, durch die Gänge wandeln (Gäste von der gestrigen Veranstaltung zu Social Media bei Schneider + Partner getroffen) und dann flugs die Perspektive gewechselt: rechte Seite 4. Rang, ebenfalls Treppe.
Und schon sieht alles ganz anders aus - take a new perspective to see more!
Ich moechte etwas mehr über die Dirigentin Julia Jones wissen. Normalerweise sind die Dirigenten nie Frauen und das macht mich sehr neugierig. Die Frauen fühlen die Musik ganz anders als Männer und ich möchte wissen wie Sie das Orchester geführt hat und auch die SängerInnen.
Gute Frage, denn mit dem Dirigenten steht und fällt alles. Er oder heute sie ist das Verbindungsglied zwischen Orchester und den SängerInnen auf der Bühne, wobei auch das Publikum im Rücken nicht unwesentlich ist. Drei Dirigenten am Pult der Sächsischen Staatskapelle sind mir bereits explizit aufgefallen (Paul Connelly (Coppélia), Christian Thielemann (Silvesterkonzert), Vladimir Jurowski (Iolanta)). Alle hatten etwas Besonderes, was sie für die jeweilige Oper bzw. Ballett prädestinierte.
Julia Jones, auf dem neuen Platz konnte ich einen wesentlich besseren Rundumblick sowohl auf Orchester, Bühne als auch Innenraum wahrnehmen, faszinierte mich durch ihre reduzierten Bewegungen. Die rechte Hand mit dem Taktstock machte "sichtbare" Bewegungen, doch die linke war die "Zauberhand". Kaum wahrnehmbar führte sie die einzelnen Orchestergruppen mit subtilen Fingerbewegungen - sozusagen ein leichtes Anstupsen von Etwas, was ohnehin schon in der Luft lag und eben angestupst werden wollte. Zierlich fügte sie sich auf dem Pult inmitten des Orchesters ein - quasi ein Teil des Ganzen.
Es war faszinierend zu sehen, wie wenig es für eine wahre Meisterin ihres Faches braucht, die Stärken der Einzelnen im Team (Orchester + SängerInnerinnen) herauszulocken und zu einem gemeinsamen Erlebnis zu schmieden. So mancher Manager kann sich hier in zwei Stunden einen Workshop vom Feinsten abholen, und nebenbei noch beste Musik genießen.
Ein Führungsworkshop für den Preis einer Stehplatzkarte - ein wirklich lohnenswerter Abend!
... und in aller Kürze:
- Good: Stehplatzkarte und Position gewechselt; schlichtes Bühnenbild, das Raum zum Denken ließ; Nadja Mchantaf, die nicht nur hervorragend sang, sondern auch noch ebenso schauspielerte; Nachbarn im 4. Rang, die mir freundlicherweise Sitzplätze anboten.
- Tricky: verdammt hartes Parkett, ein Tag der sich überschlagenden Ereignisse.
- Learned: es gibt immer irgendwie einen Tiefpunkt, wenn man denkt, "Mensch ist das gerade langweilig". Wenn man diesen überwindet, dann kommt das wirklich Neue in die Welt.
- Action: stARTcamp heute im Goethe-Institut, Königsbrücker Straße.
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